Mittwoch, 29. Februar 2012

s taut. Gottseidank. Mit der Hochspannung, die man eigentlich nur als aktiver Glücksspieler der wöchentlichen Lotterieziehung widmet, verfolgen wir im Wetterbericht, wie die Temperaturen mühsam, aber tapfer Stück um Stück nach oben klettern. Draußen spitzen an exponierten Stellen schon Frühjahrsblüher aus der duftenden Erde. In den Bäumen kracht nachts der aufsteigende Saft.
Die letzte Woche war ich in München, Wiederaufnahmeproben begleiten, im Stadtarchiv gewesen, Bibliotheken geplündert und endlich wieder mit dem Fahrrad kreuz und quer in der Stadt unterwegs, nachdem während des furchtbaren Frosts die letzten zwei Monate meine Bremsen eingefroren waren und ich mit der U-Bahn fahren musste. Viel Fachliteratur gewälzt, mit Büchern und Bratsche (Konzert im April, also brav Etüden üben) zum Hauptbahnhof, wo mal wieder eine polizeiliche Hundertschaft unterwegs war. An den Bahnsteig gestellt in der Hoffnung ein Bayernticket organisieren zu können. Ziemlich schnell hat man ein Grüppchen zusammen, bestehend aus einer zierlichen Asiatin mit geschmackvollem hellgrauen Wollmantel und dürftigen Deutschkenntnissen, einem schweigsamen Türken, einem noch schweigsameren Serben und einer heiteren Afrikanerin, die eine Art Manding-Französisch spricht. Die Hundertschaft stellt sich als vom Bundesgrenzschutz heraus und schickt einen Vertreter zur Passkontrolle. Der Vertreter kontrolliert mürrisch den Türken, den Serben und die Afrikanerin, mich und die Asiatin würdigt er keines Blickes. Vermutlich fallen wir als zu gut gekleidet aus seinem Fahndungsraster oder so. Weil die Afrikanerin nicht versteht, was er von ihr will, und nur verlegen lächelt, der Bundesgrenzschutzmann aber kein Französisch kann, dolmetsche ich und darf dann gleich doch noch meinen eigenen Personalausweis vorweisen; vermutlich habe ich mich durch das freundliche Anerbieten meiner Sprachkompetenz in der Verdacht gebracht, die Afrikanerin durch die Gegend zu schleusen. Der stille Serbe muss zu seinem zerfledderten Pass zig Beiblätter vorweisen, die er aber alle dabei hat und dem geblafften Amtsjargon des Mannes zum Trotz mit sanftmütiger Würde eines nach dem anderen vorzeigt. Das scheint den Beamten noch verdrießlicher zu stimmen. Er zieht schließlich grußlos von dannen.
"Bah, était presqu'aussi rude qu'la police française", sagt die Afrikanerin in ihrem kugeligen Französisch.
"L'effect Merkozy, je pense", antworte ich nur. Sie lacht so schallend auf, dass die ganze Bundesgrenzschutzhundertschaft in der Halle hinter uns kollektiv zusammenzuckt.

Ach, und wo wir schon bei hirnrissigen Aktionen sind: das hing vorgestern an einen Baum an der Leopoldstraße genietet:

Die Website dazu ist so krass, dass es eigentlich nur ein Scherz sein kann. Ich vermute eine absolut trottelige Werbeaktion für den Film Devil Inside, alles andere äre eigentlich nur ein todtrauriger Beweis für den schlechten Einfluss der Popkultur auf die geistige Gesundheit ihrer Rezipienten. Dass Leute mit sowas unschuldige Stadtpappeln betackern müssen...

Mittwoch, 1. Februar 2012

as ist für Amitiel :) Es ist ganz merkwürdig, dass ich diese Zeilen vor gefühlt zehn Jahren das letzte Mal gelesen habe und sie mir am Wochenende plötzlich wieder mit einer Wucht in die Hirnwindungen schossen, dass ich mich erst einmal hinsetzen musste.



Hyperion an Diotima 
Nicht wahr, die heiligern Akkorde hören darum denn doch nicht auf? Nicht wahr, Diotima, wenn auch der Liebe sanftes Mondlicht untergeht, die höhern Sterne ihres Himmels leuchten noch immer?  
~ 
Fromme Seele! Ich möchte sagen, denke meiner, wenn du an mein Grab kömst. Aber sie werden mich wohl in die Meersfluth werfen, und ich seh' es gerne, wenn der Rest von mir da untersinkt, wo die Quellen all' und die Ströme, die ich liebte, sich versammeln, und wo die Wetterwolke aufsteigt, und die Berge tränkt und die Thale, die ich liebte. Und wir? O Diotima! Diotima! Wann sehn wir uns wieder? Es ist unmöglich, und mein innerstes Leben empört sich, wenn ich denken will, als verlören wir uns. Ich würde Jahrtausende lang die Sterne durchwandern, in alle Formen mich kleiden, in alle Sprachen des Lebens, um dir einmal wieder zu begegnen. Aber ich denke, was sich gleich ist, findet sich bald. Große Seele! Du wirst dich finden können in diesen Abschied und so lass mich wandern. 
Lebe wohl. 
~

 Friedrich Hölderlin, Hyperion

1799