Sonntag, 20. November 2011

äre dieser Blog (heißt es eigentlich der oder das Blog??) ein Ort mit einer Äquivalenz in der Realität, müsste ich jetzt wahrscheinlich den Besen schnappen und das alte Laub rausfegen, dass sich in den Ecken angesammelt hat. Potzblitz, lange nicht mehr hiergewesen. Das bringen die Arbeit und das Studium mit sich, einhergehend mit der Tatsache, dass mein Vermieter mal wieder seine allmonatliche Wlan-Paranoia hat ("Man weiß nicht, was diese Strahlung für gesundheitliche Folgen haben kann!", sagt er immer, meistens während er sich eine Zigarette anzündet) und ich zu zurückhaltend bin, jedes Mal hinunter zu gehen und nach dem Ethernet-Kabel zu fragen. Das hat man nun von seiner guten Erziehung.
In München ist es mittlerweile überwiegend neblig und schrecklich, schrecklich kalt; das merke ich deswegen, weil ich sturerweise (und um Geld zu sparen) die Benutzung der U-Bahn vermeide und lieber mit dem Fahrrad fahre, schön die Leopoldstraße hinunter Richtung Siegestor zur Uni, oder noch weiter bis zum Odeonsplatz, links abbiegend durch den Hofgarten mit dem Dianatempel, vorbei an der Staatskanzlei und der Amerikanischen Botschaft bis zum Friedensengel, und auf der Prinzregentenstraße weiter zum gleichnamigen Theater zur Arbeit. Mir ist aufgefallen, dass, weil die meisten meiner Kommilitonen die U-Bahn benutzen, kaum einer von ihnen eine Vorstellung über die räumlichen Ausdehnungen und Verbindungen zwischen diverser Sehenswürdigkeiten dieser Stadt hat. Eine Fahrt mit der U4 vom Odeonsplatz zum Prinzregentenplatz dauert vielleicht fünf Minuten, mit dem Fahrrad ist man da schon, wenn die Ampeln einem nicht gewogen sind, durchaus 15 Minuten unterwegs, hat dabei aber noch das Haus der Kunst, das Bayerische Nationalmuseum, eine richtig schöne Ecke im Englischen Garten und die Villa Stuck gefunden, mit einem kleinen Schlenker auf die andere Straßenseite auch die Welle unter der Eisbachbrücke, auf der man sogar jetzt noch bis in die Nacht hinein durchgeknallten jungen Männern beim Surfen zuschauen kann. Für viele ist diese Stadt eine lose Sammlung von Knotenpunkten, die durch das Netz der S- und U-Bahn verbunden sind, und kaum einer könnte sagen, wie man zu Fuß vom Marienplatz zum Sendlinger Tor kommt, obwohl die Strecke lachhaft kurz ist (viele glauben, dass die beiden Plätze mehrere Kilometer voneinander entfernt liegen. Eigentlich sind's nur 700 Meter). Dabei ist es herrlich, sich seine Pfade durch den urbanen Urwald zu suchen, neue Wege zu erkunden, ungewöhnliche und schöne Ecken abseits der allbekannten Touristenmagneten zu entdecken und sich so seinen Lebensraum zu erobern.
Ich glaube, so ein richtiger Großstadtmensch werde ich nie, aber zum Glück ist der Teil Münchens, den ich bewohne, vom auch sehr gestrig gebliebenen Zentrum ganz zu schweigen, nicht sonderlich großstädtisch. Letzte Woche kam ich gegen Mitternacht zurück nach Hause und fand auf der Türschwelle schnaufend und schmatzend einen Igel. Ich habe ihn in Herbstlaub eingepackt in meinen Fahrradkorb geladen und tief in den Englischen Garten (wo er wohl hergekommen war) gefahren. Auf den Wegen war es verblüffend still, am Himmel standen sehr klar die Wintergestirne und ein strahlend heller Halbmond. Ich hielt an, hob die Igelkugel aus dem Korb, stapfte ein bisschen ins Gebüsch unter die kahlen Buchen hinein, setzte das missmutig grunzende Tier ab und erschrak fast zu Tode, als direkt vor mir ein Kaninchen aufsprang und ins Dunkel floh. Füchse und sogar Rehe soll es hier auch geben. Soviel zur Großstadt als Betonwüste.