Samstag, 12. Februar 2011

Gegen diesen Film ist "Black Swan" ein Amateurvideo für kleine Mädchen. Man sehe und halte den Atem an.


Freitag, 11. Februar 2011

À la recherche du temps perdu…

ine Weile ist es jetzt schon her, dass hier zuletzt geschrieben wurde, diesen Umstand mag man mir verzeihen, ich bin im Prüfungsstress. ;-) Am Montag steht die komparatistische Zwischenprüfung an und wie das immer bei geisteswissenschaftlichen Prüfungen im Allgemeinen und literaturwissenschaftlichen im Besonderen der Fall ist, besteht eher die Gefahr, dass man anstatt zu wenig zu viel weiß, sich in langschweifenden Argumentationsketten verliert und die verrinnende Zeit aus den Augen verliert. Auf dem Plan des ersten Teils stehen die Analyse eines (hoffentlich nicht) unbekannten Gedichts sowie der obligatorische Kanon aus 15 Werke der Weltliteratur, die man im Grundstudium in Eigenregie gelesen und analysiert haben sollte. Was Kafkas Verwandlung auf dieser Liste verloren hat, frage ich mich schon seit Monaten, aber Aufstellungen, die Allgemeingültigkeit für sich beanspruchen, sind sowieso immer zu hinterfragen. Übrigens sehr aufschlussreich, dass auf der kleinen Literaturliste (es gibt noch eine große fürs Hauptstudium) weder Frauen noch außereuropäische Schriftsteller auftauchen. Soviel zu alten Denkmustern an einer modernen Uni. Neben dem Emo mit der Beamtenseele aus Prag stehen auch Leute wie Marcel Proust auf der Liste, aus dessen Mammutwerk Á la recherche du temps perdu der Romanteil In Swanns Welt anfällt, fernerhin unser vielgeliebter Dante mit seiner Divina Comedia, das ich so gern hab, weil der Mann mit der schrecklich großen Nase so wahnsinnig ehrlich ist und seinen ich-erzählenden Protagonisten beim Anblick der Höllengreuel ständig ohnmächtig in Vergils starke Arme sinken lässt, und noch viele viele andere, sinnigerweise beginnend mit Homers Odyssee und endend bei James Joyce's Ulysses.
Eine ganz andere Suche nach der verlorenen Zeit hat sich bei unserem Häuslebau-Projekt ergeben. Erwähnte ich es, meine Eltern haben ein riesiges Haus aus dem Jahre 1700 gekauft, das leider auch noch immer Dämmfüllungen von 1700, Balken von 1700 und einen Schweinestall im Hof von 1700 hat, ansonsten aber unglaublich schön, lebensvoll und geschichtsträchtig ist. Es ist ein bisschen traurig, weil es die letzten 30 Jahre als Treffpunkt wütender, drogenabhängiger und desorientierter Jugendlicher herhalten musste, aber wir gedenken es mit neuem Leben zu füllen. Die Dinge, die hinter doppelten Mauern, unter abgewetzten Eichendielen und aus Deckenverkleidungen wieder ans Licht kommen, sind nicht immer schön. Eine mumifizierte Katze, die an einem zentralen Punkt unterm Dach in den Boden gemauert war. Wir spekulieren noch, ob es sich um ein sogenanntes Bauopfer handelt, ein eher unsympathischer Zweig voraufklärerischen Brauchtums, haben sie aber in allen Ehren unter einer Eiche nahe des Dorfes begraben, Frieden und eine gute Reise gewünscht und Katzenminze ausgesät. Rechnungen eines Kolonialwarenladens von 1886. Interessante Bierflaschen mit aufwändiger Glasprägung und Kippverschluss und ein Glasfläschlein mit "rother Tinte" (sic!) von 1900. Als Bodenisolierung missbrauchte Polizeiakten von 1931. Ein paar zerfledderte "Die Wehrmacht"-Heftchen von 1939. Modejournale von 1960. Den Brief des Jugendamtes an eine Mutter von 1984, in der ihr mitgeteilt wird, dass ihr Sohn nunmehr in die Obhut von Pflegeeltern kommt. Die obligatorischen Heroin-Bestecke. Das erklärt, warum das Haus eine insgesamt traurige Atmosphäre ausstrahlt und einmal gründlich auf allen Ebenen gereinigt werden muss. Und dann tauchen so kleine Sachen auf wie zum Beispiel dieses wirklich alte alte Kachelbruchstück, das einmal zu einem Ofen gehört hat. Das in einem Pflanzenornament auslaufende Pferdchen oder vielleicht auch Hippocampus ist besonders am Kopf ganz abgetragen, als hätten über die Jahrhunderte hinweg unzählige Finger die Konturen der Stirn bis zu den Nüstern gestreichelt. Vielleicht kleine Kinder, die abends, wenn die Kachelpferde im Schein von Kerzen lebendig zu werden schienen, Geschichten erzählt bekommen haben, oder schmerzlich verliebte Bürgerstöchter, die auf ihren Prinzen auf einem Schimmel warteten. Man könnte ein Museum füllen mit den verlorenen Dingen, die längst zu Staub gewordene Menschen über 300 Jahre lang hier zurückgelassen haben. Natürlich muss jetzt alles von Grund auf renoviert werden, neue Türen gebrochen, Fenster ausgetauscht, Böden gelegt. Aber es ist schön, nicht als irgendwer in in irgendeine Wohnung ziehen zu müssen, sondern sich als jüngstes Glied einer langen Kette von Schicksalen und Menschenleben begreifen zu können, deren Spuren manchmal noch ersichtlich sind. Und eine sehr sinnträchtige Wendung hat das Ganze auch: In dem Jahr, als dieses Haus gebaut wurde, wanderte einer unserer dokumentarisch nachweisbaren Vorfahren vom Rhein-Mosel-Gebiet aus entlang der Donau nach Siebenbürgen aus. Vielleicht ist er hier vorbeigekommen und hat sich beim Anblick der Baustelle gedacht, wie schön es wäre, mit einer Familie ein so großes und stattliches Haus zu bewohnen. Die Vorstellung hat etwas für sich.